Mitte der letzten Woche, am 02.11.2022, beschlossen die Ministerpräsidenten gemeinsam mit dem Bundeskanzler die Einführung von Entlastungen für die Bürger Deutschlands, um die Folgen der Gas- und Energiepreiskrise abzufedern. Eine dieser Entlastung soll das sogenannte „Deutschlandticket“ sein. Mit diesem soll man für den Preis von 49 Euro pro Monat ein bundesweit geltendes ÖPNV-Monatsticket erhalten.
Doch kaum war die Idee dieses Tickets geboren und vorgestellt, so hagelte es bereits Kritik. Die Kommunen bemängeln, dass der ÖPNV mit den versprochenen Finanzmitteln seitens des Bundes nicht für die bevorstehenden Strapazen leistungsfähig gemacht werden könne. Nach Meinung der Sozialverbände ist der Preis für dieses Ticket zu hoch, sodass sich nicht alle dieses leisten könnten. Generell stößt das neue Ticket zwar auf Zustimmung in der Bevölkerung, aber kaum jemand möchte es selbst nutzen. In der jüngsten Umfrage zum „Deutschlandticket“ durch das Meinungsforschungsinstitut Insa befürworten zwar zwei Drittel der Befragten die Einführung, doch über 50 Prozent würden es nicht nutzen. Vor allem die ältere Bevölkerung, die gerade vom preiswerteren ÖPNV profitieren würde, möchte das Ticket kaum nutzen. Dementsprechend kann aus meiner Sicht keineswegs von einem Erfolg bei diesem Vorhaben gesprochen werden. Vielmehr erscheint es mir so, als wäre es ein schlechter Ablenkungsversuch vom Nichthandeln der Bundesregierung in den so drängenden Fragen unseres heutigen Lebens.
Kurzum: Die Regierung ist auch mit diesem Entlastungsschritt gescheitert und hat höchstens Halbherzigkeit in ihrem Handeln bewiesen.
Für mich ist es zuerst einmal wichtig, den Sachstand des deutschen öffentlichen Personennahverkehrs festzuhalten. Dabei treten zwei völlig unterschiedliche Bilder auf: Zum einen die Großstadt, in der ein voll umfängliches, gut getaktetes und zuverlässiges ÖPNV-Netz aufgebaut ist. Zum anderen den bei uns überwiegenden ländlichen Raum, für welchen dieses Bild auf keinen Fall so gezeichnet werden kann.
Ohne den Schulbusbetrieb wären einige Dörfer und Gemeinden gar nicht mit im ÖPNV-Netz integriert. Die mit dem PKW leicht erreichbaren Wege sind mit Bus oder Bahn mit langen Fahrtzeiten und häufigen Umstiegen verbunden und am Wochenende geht meist sowieso nichts – also unattraktiv und zeitintensiv. Manche Landesteile können zumindest ein Rufbussystem vorweisen. Wie zum Beispiel der Landkreis Ludwigslust-Parchim, in welchem die dortige Verkehrsgesellschaft VLP ein System erstellt hat, welches dem Bürger auch außerhalb der eigentlichen Busfahrtzeiten eine Busfahrt ermöglicht. Als Lohn für diese Idee wurde das Konzept als eines der besten in ganz Deutschland ausgezeichnet. Doch auch die Nutzung dieses Systems gestaltet sich vor allem für die älteren Bevölkerungsgruppen als eher schwierig.
Kurzum: Es fehlt an einem ganzzeitlichen und guten ÖPNV-Angebot auf dem Land. Dadurch wird die Lebensqualität auf dem Land nachhaltig gesenkt. Anstatt eines Billigtickets bedarf es erst einmal eines Ausbaus des Nah- und Regionalverkehrs.
In der Jahresmitte machte das 9-Euro-Ticket die Runde in Deutschland. Innerhalb der Sommermonate konnte man sich für neun Euro pro Monat ein bundesweit geltendes ÖPNV-Monatsticket kaufen, sodass man den ganzen Sommer lang für 27 Euro den ÖPNV in ganz Deutschland nutzen konnte. 52 Millionen Mal wurde dieses Ticket am Ende verkauft. Hauptnutzer dieses Angebots waren Städter, die den hohen Tarifpreisen der Nahverkehrsunternehmern entkommen konnten, und Urlauber, die ihre Reisekosten auf diese Weise niedrig halten konnten.
Was war also das Resultat des 9-Euro-Tickets?
Vor allem werden wohl die übervollen Züge in den Köpfen der Menschen bleiben. Fahrradfahrer mit Fahrrädern konnten nicht mehr zusteigen, die Züge hatten massive Verspätungen und die Servicemitarbeiter waren maßlos überfordert und erschöpft von dem gewaltigen Aufkommen an Fahrgästen. Außerdem wurden reguläre Nutzer des ÖPNVs durch solche Vorkommnisse so verschreckt, dass sie auf das Auto umgestiegen sind, was wohl kaum das Ziel des Tickets sein sollte. Doch genau das kommt dabei heraus, wenn man stets und ständig nur halbherzig handelt.
Für mich war es aber allen voran ein äußerst teurer Versuch, in Deutschland eine gewisse Verkehrswende von Seiten des Staates in Bewegung zu setzen. Doch sie blieb aus. Die Menschen nutzten diese einmalige Vergünstigung, um Geld in Zeiten der Krise zu sparen. Aus meiner Sicht liegen die Gründe für ein Ausbleiben der Verkehrswende, durch die die Menschen vollständig auf den ÖPNV umsteigen würden, klar auf der Hand: fehlendes Angebot auf dem Land, marode Strecken, unendlich viele Tarifanbieter, ein Dschungel aus Verkehrsverbünden und fehlende Fahrplanabstimmungen über die Kreis- oder Landesebene hinaus.
So lange diese Probleme nicht beseitigt werden, wird es in Deutschland keine nachhaltige Verkehrswende geben. Und Verkehrswende heißt für mich: Der dauerhafte und somit nachhaltige Umstieg auf Bus und Bahn ist das Ziel und nicht ein Billigticket, das die meisten in MV nicht zum Umstieg anreizt oder erst gar nicht von ihnen genutzt wird.
Nun soll das „Deutschlandticket“ Entlastung und Wandel gleichzeitig bringen. Die schon zugesicherte Erhöhung der Regionalisierungsmittel für die Länder muss weiter erhöht werden, damit die Länder überhaupt die Angebote im Nah- und Regionalverkehr verbessern können und zum anderen die Verkehrsbetriebe die extremen und existenzgefährdenden Kostensteigerungen überhaupt finanziell verkraften. Ich verweise hierbei auf die Kritik des Deutschen Städtetages, welche ich oben bereits angeführt habe.
Eine Option, das Mobilitätsangebot für mehr Menschen im ländlichen Raum nutzbar zu machen, wäre, wie im Fall unseres Landes, die Südbahn. Statt wieder zu verzögern und erst einmal wieder ein zeitintensives Gutachten in Auftrag zu geben, sollte das Land Mecklenburg-Vorpommern endlich die Verkehrswende angehen und zum Beispiel mit der Strecke Pritzwalk – Plau – Karow – Güstrow und Parchim – Karow – Malchow, ebenso mit dem Ausbau des Knoten Karow, ein erweitertes Angebot für den ländlichen Raum schaffen. Nur durch solche Maßnahmen ist es machbar, dass ein günstigeres Ticket auch eine wirkliche, nachhaltige Verkehrswende herbeiführt. Die im Land angehäuften Rücklagen von Regionalisierungsmitteln würden dies auch ermöglichen. Es ist eine rein politische Entscheidung, man muss nur wollen.
Wie beschrieben, ist der Schritt hin zu einem 49-Euro-Ticket, wenn überhaupt, der letzte Schritt und nicht der Erste. Unabhängig davon bin ich schon der Auffassung, dass, wenn wir ein wirkliches, nachhaltiges und wirksames Angebot in einen gemeinsamen Tarifverbund erst einmal hätten, dann auch die angebotenen Ticketpreise werthaltig sind und keine dauerhafte Bezuschussung bräuchten. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Jetzt im ersten Schritt, ein neues, günstigeres Ticket aufzusetzen, hilft weder den Verkehrsbetrieben noch den Konsumenten vollumfänglich.
Ich halte also fest: Die Einführung eines Tickets, welches kaum von der Bevölkerung angenommen wird, führt nicht zu der ersehnten nachhaltigen Verkehrswende, das heißt dauerhafter Umstieg auf ÖPNV und SPNV. Es mangelt an allen Ecken und Kanten in unserem Nah- und Regionalverkehr. Anstatt sich für Entscheidungen nur selbst auf die Schulter zu klopfen, sollte man sich Gedanken darüber machen, was für die Verkehrswende und die Bevölkerung wirklich wichtig wäre und diese dann mit Tatendrang umsetzen. Das fordere ich sowohl von der Bundesregierung als auch von unserer Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. Die Devise muss sein: Erst denken, dann handeln!
Ihr Wolfgang Waldmüller