Seit Wochen und Monaten beschäftigen die Streiks unter anderem der Lokführergesellschaft, des Bodenpersonals verschiedener Airlines oder des Sicherheitspersonals an deutschen Flughafen die Öffentlichkeit. Das größte Aufsehen erregten die Streiks der GDL im Bereich der Deutschen Bahn. Seit Monaten wird an einer Lösung der Tarifverhandlungen gearbeitet und nicht nur ich bin der Meinung, dass das Ende der Fahnenstange langsam erreicht ist.
Bevor ich mich zu meinen Empfindungen der jetzigen Situation und möglicher Schritte zur Beilegung der Probleme äußere, möchte ich zwei Sachen klarstellen: Unser Grundgesetz beinhaltet sowohl die Festlegung der Tarifautonomie und das Streikrecht. Zur Tarifautonomie bekenne ich mich außerordentlich. Löhne sollen durch beidseitige Verträge der Betroffenen, also zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, beschlossen werden. Einen Eingriff bei der Festsetzung der Löhne, wie bei der Mindestlohnerhöhung auf zwölf Euro, von Seiten der Politik halte ich für grundlegend falsch. Das Streikrecht ist eines der wichtigsten Mittel der Arbeitnehmer, um auf ihre Unzufriedenheit über die Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen. Dabei muss aus meiner Sicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber zwingend eingehalten werden.
Diese Prämisse sehe ich bei den jetzigen Streiks so langsam nicht mehr gegeben. Die Forderungen der Gewerkschaften sind abenteuerlich, genauso wie das Verhalten auf Vorschläge oder Gesprächsangebote von Seiten der Deutschen Bahn. Es kann nicht sein und ist vor allem unanständig, dass die Angebote abgelehnt werden, ohne dass sie sich überhaupt angeschaut wurden. Außerdem ist es doch nicht mehr vertretbar, dass sich gar nicht erst an einen runden Tisch gesetzt wird, sondern ohne Gespräche die Ablehnung signalisiert wird. Herrn Wesselsky scheint es nur noch darum zu gehen, sich mit einem mächtigen Knall in den Ruhestand zu verabschieden. „Alles oder nichts!“, scheint seine Devise zu sein. Doch ist diese Haltung in solchen Zeiten, in denen wir leben, noch akzeptabel? Ich glaube nicht.
Herr Wesselsky ist selbst CDU-Mitglied und das zeigt schon die Schwierigkeit im Umgang mit der jetzigen Lage in unserer eigenen Partei. Viele unserer Mitglieder, allen voran unser linker Parteiflügel, die CDA, stehen unabdingbar hinter den Streikenden. Ein Großteil, mich eingeschlossen ist aber der Überzeugung, dass wir wieder an den Punkt gelangen müssen, an dem man sich bei Problemen zusammensetzt, die jeweiligen Argumente und Ideen ungestört vortragen lässt und dann zu einer Entscheidung kommt. Das gilt sowohl für den öffentlichen als auch für den politischen Bereich. Mir ist der Ton viel zu rau geworden, der Egoismus und das egozentrische Weltbild haben Hochkonjunktur. Die Regierungen leben dieses nicht nur vor, sondern tolerieren wie im Bahnstreit dieses Verhalten auch noch.
Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die Ankündigung der Streiks. Die Deutsche Bahn hat bereits mehrfach betont, dass sie, sollte es zu einem Streik kommen, 48 Stunden vorher eine Information darüber braucht, um Notfallfahrpläne zu erstellen und alle weiteren Schritt einzuleiten. Ansonsten würde es zu noch größeren Problemen kommen, sodass nicht einmal einige, wenige Züge fahren könnten. Wesselsky drohte vor kurzem damit, diese 48-Stunden-Frist nicht mehr einhalten zu wollen und setzte den Plan bereits in die Tat um. Dieses Handeln ist vorsätzlich zu Lasten der Bürger und entzieht jeglichen angebrachten Forderungen die Rechtfertigung. Vor allem aber schadet das Verhalten der Gewerkschaften nicht der Deutschen Bahn oder den anderen Arbeitgebern, sondern es trifft das schwächste Glied dieser Kette – den Bürger.
Erst einmal sind die Bürger gebeutelt von den zahlreichen Streiks, die ganz Deutschland in den vergangenen Monaten erreicht hatten. Teilweise stand das öffentliche Leben komplett still. Schüler mussten zuhause bleiben, Pendler konnten nicht zur Arbeit kommen und Reisende durften ihren wohlverdienten Urlaub auf dem Flughafen genießen. Der Unmut in der Bevölkerung wächst und das kann auch nicht Ziel der langgezogenen Verhandlungen sein. Gerade Mecklenburg-Vorpommern wird von Streikwellen immer stark in Mitleidenschaft gezogen. Viele Menschen pendeln für die Arbeit nach Hamburg oder Berlin, besitzen vielleicht gar kein Auto, sind also auf den ÖPNV angewiesen. Diesen arbeitswilligen Menschen wird es unmöglich gemacht, wertschöpfend tätig zu sein und gerade das ist es doch, was unser Land im Moment wirklich braucht. Unser Land zerfällt in ein Zufallsland, in dem es keine Planbarkeit für den Bürger und die Unternehmen gibt. Das ist ein unzumutbare Zustand für ein Land wie Deutschland. Außerdem leidet der Wirtschaftsstandort Deutschland massiv unter den aktuellen Entwicklungen.
Wir dürfen bei all der Diskussion rund um die Lage der Angestellten der Bahn oder allgemein des ÖPNVs nicht vergessen, dass wir es hier zumeist mit Beschäftigten im öffentlichen Dienst zu tun haben. Diese verdienen im Vergleich zu anderen Berufstätigen schon sehr viel, vor allem gehören dort Wochenend-, Feiertags- oder Nachtzuschläge, Weihnachts- und Urlaubsgeld sowie vermögenswirksame Leistungen zur Standardausstattung und nicht zum Luxus. Das bedrückt viele Menschen außerhalb dieser Berufe auch besonders. Das Verständnis für Streiks im Pflege- oder Gesundheitsbereich ist in der Bevölkerung deutlich höher als ewig andauernde Streikperioden des öffentlichen Dienstes.
Die Problematik der jetzigen Situation zeigt sich auch in der Szene, die sich nun bereits zum zweiten Mal ereignet hat: Die Deutsche Bahn geht gegen die angekündigten Streiks mit Klagen vor Arbeitsgerichten vor. Scheinbar ist es der einzige Weg, der der DB noch übrigbleibt, weil auf Seiten der GDL keinerlei Gesprächsbereitschaft mehr vorzufinden ist. Das wirkt auf mich alles sehr deprimierend und erschütternd.
Aus meiner Sicht liegt die Lösung dieses Problems in dreierlei Dingen: Ich unterstütze die Vorschläge, die Teile der Union unterbreitet haben, nach einem Austausch der Verhandlungsteams oder einer Festsetzung von Zeiten zwischen neuen Streiks. In den Verhandlungen bedarf es frischen Wind, um Übereinkünfte zu erreichen. Auch wenn die Tarifautonomie gewahrt bleiben muss, ist es langsam an der Zeit, dass auch die Bundesregierung, und allen voran Bundesverkehrsminister Wissing, sich als zweiten Schritt einschaltet. Sie soll keine Entscheidung treffen, dazu hat sie auch gar nicht das Recht, aber sie soll auf die beiden Parteien bezüglich deren Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft einwirken. Ob da bittende Worte des Bundeswirtschaftsministers ausreichen, wage ich zu bezweifeln. Und schließlich muss bei allen Beteiligten die Einsicht einkehren, nur gemeinsam das Ziel erreichen zu können. Es nützt nichts, wenn man stetig neue Provokationen auslöst, denn am Ende muss die Gegenseite, welche man durch jene nur erzürnt, den eigenen Vorschlägen zustimmen. Vor allem nach einer so langen Zeit muss sich doch auch ein alteingesessener, ehrhafter Gewerkschaftler wie Herr Wesselsky fragen, ob er so seinen letzten Kampf beenden will.
Nur im Einklang dieser drei Dinge kann es gelingen, auch etwas für die Arbeitnehmer herauszuholen und den öffentlichen Frieden halbwegs wieder herzustellen. Eine Häufung von Streiks schadet unserer Wirtschaft und ohne eine starke Wirtschaft kann es auch keine guten Löhne geben. Diese beiden Bereiche hängen schließlich voneinander ab. Deshalb rufe ich alle Beteiligten zur Besonnenheit und Suche nach Gemeinsamkeiten auf.
Ihr Wolfgang Waldmüller