Vor rund zwei Wochen ist der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD präsentiert und damit die Weichen für die Politik der nächsten vier Jahre gestellt worden. Vorbehaltlich der Zustimmungen der jeweiligen Parteigremien sind dort die groben Rahmenlinien für die zukünftige Politik in Deutschland festgehalten. Anstatt jedoch, dass ein Aufschwung in der Gesellschaft und an den Parteibasen durch diesen Koalitionsvertrag erzeugt wurde, treten immer häufiger äußerst kritische und realitätsferne Stimmen aus den Reihen der Jungen Sozialisten, aber auch nachdenkliche Worte aus Unionsreihen zu Tage. Auch mich treiben gemischte Gefühle um.
Die Union ist in den Bundestagswahlkampf 2025 mit drei zentralen Punkten hineingegangen: Die Schuldenbremse sollte bestehen bleiben, die Wirtschaft müsse wieder gestärkt und die Migration effektiver gesteuert werden. Nicht zu Unrecht war der Aufschrie groß, als sich kurz nach der Wahl abzeichnete, dass Union und SPD zur Finanzierung der in den Sondierungsgesprächen bereits aufgekommenen Ideen und Projekte die Schuldenbremse umfassend lockern wollten. Anschließend sollte es möglich werden, dass über eine Billion neue Schulden von Seiten des Bundes aufgenommen werden konnten. Nach klimapolitischen Zugeständnissen an die Grünen konnte das Grundgesetz in diesem Punkt noch vor der Konstituierung des neuen Bundestages geändert werden. Die Union und insbesondere Friedrich Merz musste sich mit dem Vorwurf des „Wortbruchs“ und der „Wählertäuschung“ auseinandersetzen – und aus meiner Sicht zurecht.
Nach diesem anfänglichen Schock nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der eigenen Partei, in der wir aufgrund dieser Entscheidung zahlreiche Austritte zu verzeichnen hatten, lagen große Hoffnungen auf die Inhalte des Koalitionsvertrags. Hinsichtlich der schlechten Lage der deutschen Wirtschaft wurden einige gute Punkte vereinbart: So soll das Lieferkettengesetz, welches sinnbildlich für die Bürokratielast in unserem Land steht, abgeschafft werden. Auch steuerliche Entlastungen wurden vereinbart, wodurch es den Unternehmen im Land wieder möglich werden sollte, Investitionen zu tätigen und auf einen grünen Zweig zu kommen. Die schon lange geforderte Einführung eines Industriestrompreises ist ein weiteres Werkzeug, mit dem Unternehmen gerade bei den zuletzt drastisch gestiegenen Energiepreisen entlastet werden sollte.
In der Migrationspolitik soll es einen ernsthaften und spürbaren Kurswechsel geben. Das zeigt sich auch bereits im Koalitionsvertrag, welcher die Zielsetzung, direkt an der deutschen Grenze großflächig abzuschieben, beinhaltet. Die Kooperation mit den europäischen Partnern muss dabei eine große Rolle spielen und nach Aussagen Friedrich Merz‘ ist dies schon geschehen. Der Familiennachzug wird, wie von der Union seit langem gefordert, eingeschränkt. Auch die Turbo-Einbürgerungen der gescheiterten Ampel-Regierung werden zurückgenommen, sodass sich bereits im Koalitionsvertrag andeutet, dass mit der ungezügelten und ungesteuerten Migrationspolitik Schluss sein wird.
Anhand der Umsetzungspläne dieser beiden zentralen Anliegen der Union im Wahlkampf lässt sich durchaus festhalten, dass die Union in den für sie wichtigen Themen gut gehandelt hat. Das freut mich auch! Allerdings beschleicht mich zusehends ein Gefühl der Skepsis. Bereits bei der Präsentation des Koalitionsvertrags wurde angekündigt, dass alle Inhalte unter dem Finanzierungsvorbehalt stünden. Das heißt also, dass, sobald die Finanzmittel knapp werden sollten, das eine oder andere Projekt vor dem Aus steht. Gerade im Hinblick auf die Erleichterungen in der Wirtschaft tun sich hier also erste vorsichtige Fragezeichen auf. Hinzukommt, dass die SPD mit knapp über 16 Prozent bei der Wahl knapp die Hälfte aller Ministerien erhalten hat. Darunter auch das wichtige Finanzministerium, welches in der letzten Legislatur stets das Zünglein an der Waage war. Ich habe zwar bei einem möglichen Finanzminister Lars Klingbeil weniger Bedenken hinsichtlich eines affektiven und selbstsüchtigen Verhaltens wie beim vorherigen Finanzminister Christian Lindner, aber die Zügel in Sachen Finanzen liegen bei der SPD. Generell wird allen voran Lars Klingbeil eine starke Rolle in der Koalition spielen wollen: Er ist in der öffentlichen Wahrnehmung der große Gewinner der Verhandlungen.
Zudem beschleicht mich das Gefühl, dass es in der Union mittlerweile ausschließlich um die Vergabe von Posten ginge. Das Vertrauen in den wirklichen Politikwechsel schwindet. Ich glaube, dass Carsten Linnemann vor wenigen Tagen ein leuchtendes Beispiel geboten hat. Er hat sich aus dem Rennen um das Wirtschaftsministerium genommen, um für die Partei weiterhin zu arbeiten. Es gibt viele kompetente, integre und eloquente Personen in der Union, sodass aus einer gesunden Mischung eine schlagkräftige Truppe für das Kabinett zusammengestellt werden kann. Und Friedrich Merz kann führen, auf Grundlage seiner Persönlichkeit und Erfahrungen. Er muss nun schleunigst die Zweifel an ihm und in ihn beseitigen und zu seinen Versprechen stehen. Die Union verträgt keine weiteren Rückschläge, Ausrutscher oder Brüche. Es bedarf viel Mut, in schwierigen und komplexen Zeiten seinen Standpunkt zu halten und seinen Überzeugungen zu folgen. Diesen sollte ein zukünftiger Kanzler wagen.
Auch wir als Partei sollten Mut haben – Mut zur Veränderung, Mut zu Reformen, aber auch Mut zur eigenen Identität. Wir haben Vorstellungen für unser Land, um dieses nach vorne zu bringen. Wir sollten wissen, auf welchen Werten wir diesen Weg bestreiten wollen. Und schlussendlich: Wir regieren in ein paar Wochen wieder dieses Land. Damals hieß es: „Regieren macht Spaß“. Angesichts der heutigen Herausforderungen für unser Land und dessen Gesellschaft wäre es zynisch, so etwas mit aller Ernsthaftigkeit zu vertreten. Die Quintessenz stimmt aber: Wir können gestalten und wir sollten uns alle einbringen. Wir können unsere Regionen durch die Verbindungen in Regierungskreise voranbringen. Das ist aktive Politik und doch am Ende immer besser als die Opposition. Ich glaube, dass wir mutiger in die Zukunft schauen und uns nicht von der allgemeinen, negativen Grundstimmung mitreißen lassen sollten. Und in Richtung des politischen Berlins sei gesagt: Unser Land benötigt grundlegende Reformen, Verantwortliche mit klarem Verstand und Selbstlosigkeit, eine tatkräftige und arbeitswütige Regierung und allen voran Mut in diesen schweren Zeiten. Wir alle sollten dies leben und ich möchte mit gutem Beispiel vorangehen.
Ihr Wolfgang Waldmüller